Ich habe mich, seit ich Mutter bin, mit vielen Aspekten in meinem Innen- und auch in meinem Außenleben konfrontieren und diese durcharbeiten und durchleben müssen. Bis dato ist es mir gelungen, für fast all meine Probleme eine Lösung zu finden oder mich zumindest damit arrangieren zu können. Es gibt jedoch kaum ein Thema, das mich so nachhaltig verunsichert, ratlos und auch wütend macht, wie das des zweiten Kindes. Schon seit unserer Hochzeit, also lange vor der Geburt von Matteo, haben mich die Leute vorgewarnt, dass ab jetzt wohl die nervige Fragerei nach dem Kind losgehen würde. Dass das bei uns dann nie eingetreten ist, hat mich positiv überrascht, immerhin waren wir schon fast 10 Jahre zusammen, 3 davon verheiratet, bevor ich schwanger wurde. Vielleicht kamen diese Fragen nie, weil ich so erfüllt war von meinem Berufsleben, weil wir beide noch recht jung waren, oder weil ich einfach nicht den Wunsch nach einem klassischen Familienleben ausgestrahlt habe. Dass sich daher die Einmischung fremder Menschen in meine Privatangelegenheiten in Grenzen halten würde, habe ich also fälschlicherweise als gegeben vorausgesetzt - denn kaum war Matteo geboren, ging es unvermeidbar los mit den wohlgemeinten Ratschlägen und ungefragten Meinungen. Zum Schlaf, zur Ernährung, zum Stillen, zur Fremdbetreuung und natürlich, oder besser gesagt vor allem, auch zum Geschwisterkind.
Für uns war immer klar: wir wollen zwei Kinder. Warum eigentlich, kann ich nicht beantworten, „es gehört sich halt einfach so“. Lange Zeit war mein genereller Kinderwunsch nicht besonders groß. Dass ich überhaupt Kinder wollte, wusste ich erst nach einigen Jahren Beziehung mit meinem Mann und einem Augen öffnenden Traum mit Mitte 20, der einen großen, runden Bauch enthielt. Mit der Hochzeit kamen dann die gesellschaftlichen Konventionen, die ich für mich nie großartig hinterfragt habe. Heirat, 2 Kinder, Haus und Garten, mein Kind so aufwachsen lassen, wie ich es halt kenne. Allerdings war ich selbst 11 Jahre lang ein Einzelkind, bevor mein Bruder als Nachzügler kam, und ich habe es geliebt, einfach nur mit meinen Eltern zu sein, die immer lustig und aktiv waren, die mir die schönste Kindheit beschert haben, die man sich nur wünschen kann. Ich habe nie hinterfragt, ob es besser mit einem Bruder oder einer Schwester wäre, im Gegenteil, ich war oft froh, keine Geschwister zu haben, wenn ich mir die Beziehungen meiner Freundinnen zu den ihren anschaute. Dass mein Bruder jetzt mein bester Freund ist, mit dem ich alles teile und umgekehrt, war eine bewusste Entscheidung von uns beiden, keine Frage der Gene. Er war erst 12, als ich bereits als Erwachsene von daheim ausgezogen bin, es hätte auch anders laufen können. Ich kenne also beide Versionen - als (glückliches) Einzelkind aufzuwachsen, aber auch wie es ist, eine Geschwisterbeziehung zu haben, die man nicht missen möchte, denn jetzt wo ich ihn habe, will ich mir ein Leben ohne meinen Bruder auch nicht vorstellen müssen.
Matteo ist jetzt im Winter 3 Jahre alt geworden und mittlerweile hat mich jede Person in meinem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis schon mindestens 1 bis eher 10 Mal gefragt, wie es denn mit einem Geschwisterchen für Matteo aussieht. Wenn ich dann meine Standardantwort darauf gebe: „momentan würde ich sagen “Nein”, denn ich habe weder zeitlich noch mental die Kapazität und wir fühlen uns eigentlich so wie wir sind - zu dritt - wunderschön komplett, aber sag’ niemals nie“, dann kommt oft eine sehr vehemente Antwort retour, die meistens beinhaltet, dass das ja nicht gehe, Matteo bräuchte ja einen Bruder oder eine Schwester. Oft arten diese Gespräche in regelrechte Diskussionen aus, in denen ich mir Vorträge anhören darf, wie wichtig es ist, Geschwister zu haben, denn “ein Kind geht ja gar nicht”.
NEIN. Er braucht kein Geschwisterkind. Was er braucht, ist eine mental gesunde Mutter. Und ein soziales Umfeld, in dem er liebevoll aufwachsen darf, in der er erste Beziehungen knüpfen, Interessen bilden und sich den Herausforderungen des Lebens stellen kann. Er braucht Freunde, er braucht ein Netzwerk, er braucht Sicherheit - und all das gebe ich ihm, geben wir ihm. Ich sorge für die schönste Kindheit, ich tue alles, was mir möglich ist, seine Bedürfnisse zu erfüllen und darüber hinaus. Ich gebe alles für mein Kind. Trotzdem wird uns abgesprochen, eine vollständige Familie zu sein, weil ja noch ein zweites Kind dazugehöre.
Wie unglaublich verletzend muss sich das für all die Frauen oder Familien anfühlen, die aus gesundheitlichen Gründen kein zweites Kind bekommen können? Oder die schon eines verloren haben? Die sich bewusst, warum auch immer, gegen ein zweites Kind entschieden haben? Sind diese Familien etwa alle keine richtigen Familien? Bin ich erst dann als Frau genug, wenn ich das Idealbild erfülle? Reicht es nicht, was ich so schon alles unter einen Hut bringen muss, meistens auf mich allein gestellt?
Ironischerweise sind es meist Männer, die so extreme Reaktionen auf meine Antwort zeigen. Das leuchtet ein, denn für viele von ihnen ändert sich nach der Geburt rein gar nichts. Sie haben keinen hormonellen Schub, sie durchleben keine Schwangerschaft, sie geben ihre Karriere nicht auf, sie werden nicht jahrelang in der Kindesbetreuung erwartet, sie zerreissen sich nicht zwischen all ihren Aufgaben und Verpflichtungen. Sie haben keinen “mom guilt”. Sie werden gelobt, wenn sie am Freitagnachmittag mal “auf ihr Kind aufpassen” und können sich wertschätzend gegenseitig auf die Schultern klopfen, wenn sie für ihre Sprösslinge einen Bausparer anlegen oder Wertpapiere kaufen von ihrem hart verdienten Geld, dass sie oft deshalb haben, weil die Frau ihnen beides ermöglicht - Karriere und Familie. Mein Zynismus sei mir verziehen, doch entspricht es nicht im Grunde der Wahrheit?
Übrigens, mein Mann und ich sind uns in unserer elterlichen, ehelichen und monetären Rollenverteilung sowie in der Zukunftsgestaltung unserer Familie mehr als einig und in vielen, stundenlangen Gesprächen auf denselben Nenner gekommen. Wir wissen, wie unsere Kapazitäten in jeder Hinsicht als Familie zur Zeit aussehen. Wieso also pressiert das Thema alle anderen so? Und wenn ich dann, der Wahrheit entsprechend, einräume, dass ich mir in Zukunft eventuell doch noch ein Kind vorstellen kann, denn ich kann und will es nicht ganz ausschließen, wenn die Rahmenbedingungen passen - dann bemerke ich ein erleichtertes Aufatmen, sogar von meinem engsten Kreis - “nun ist sie doch noch zur Vernunft gekommen”. “Aber warte nicht zu lange, weil ein zu großer Abstand ist auch nicht gut”.
In der Zwischenzeit weiß ich gar nicht mehr, ob ich meinen Standpunkt aus Trotz vertrete, weil ich mich in die Ecke gedrängt fühle, oder welcher Teil von meiner Meinung wirklich meine eigene ist. Fakt ist: ich genieße unser Leben gerade sehr, wie es ist. Alles wird schön langsam leichter, die harten Babyjahre sind vorbei, ich liebe es, mit Matteo Ausflüge und Reisen zu machen, ihn zum Essen mitnehmen zu können, mit ihm kleine Gespräche zu führen, ihn auch mal einen Abend abgeben können, ohne das schlechteste Gewissen der Welt zu haben. Wir schlafen wieder durch, unser Alltag hat sich eingependelt - und jetzt nochmal alles von vorne? Andererseits habe ich manchmal Angst, dass ich ihm etwas vorenthalte, die Erfahrung einer größeren Familie, die in unserem Fall eh schon sehr beschränkt ist, weil wir ganz ohne Großeltern in der Nähe wohnen und er auch keine Cousins oder Cousinen hat - dafür aber ein umso größeres Netzwerk an kleinen Freunden und Freundinnen, Onkel und Tanten, die ihn lieben und ihn in unserem selbstgewählten Familienkreis auffangen.
Ich höre und lese so oft den Spruch “it takes a village”. Ich habe kein Dorf. Ich bin mein eigenes Dorf. Und ich weiß nicht, ob in meinem Dorf noch Platz ist für einen weiteren Bewohner. Wenn es jemals passieren wird, dann deswegen, weil ich, gemeinsam mit meinem Mann, den Platz freimachen konnte - in meinem Herz, in meiner Zeit, in meinem Beruf, in unserer Familie, so dass ich nochmal auf dieselbe Art und Weise einen Menschen ins Leben begleiten kann, wie ich es bei meinem ersten Kind getan habe. Und bevor das nicht der Fall ist, werde ich mir nicht von der Gesellschaft diktieren lassen, was für unsere Familie richtig oder falsch ist. Ob wir überhaupt eine richtige Familie sind oder nicht.
Weil ich in unserem Dorf die Bürgermeisterin bin und am besten weiß, was die Bewohner brauchen, um glücklich zu sein.
Danke für diesen ehrlichen Artikel!!! ❤️
Ich habe mich oft so gefühlt, weil ich „nur“ 1 Kind habe. Die meisten meiner Freundinnen haben 2 oder 3… ich hab mich selbst oft abgewertet, weil ich ja viel weniger Verantwortung, weniger zu tun, weniger Stress etc als sie habe. Wir wollten anfänglich auch immer 2, hab dann aber in der 12. Woche das zweite Kind verloren und danach hab ich mich bewusst dafür entschieden keines mehr zu bekommen. Und wir sind eine wunderbare, liebevolle Familie zu dritt und wir fühlen uns vollständig, so wie wir sind! Es gibt kein „normal“ oder „ideal“. So wie du schreibst, du bist die Bürgermeisterin in deinem Dorf.
Alles Liebe weiterhin
Danke, dass du diesem Thema Aufmerksamkeit schenkst, niemand spricht darüber. Selbst Einzelkind dachte immer, dass ich mehrere Kinder haben würde, nach der Geburt meiner Tochter vor 6 Jahren erschien mir nichts unmöglicher als das. Ausgerechnet meine Hebamme setzte mir den Satz ins Ohr, wonach Geschwister sich nicht als Geschwister fühlen, wenn der Altersunterschied größer als 6 Jahre ist. Dann begegnen mir in meinem Umfeld immer wieder Frauen, die quasi noch im Wochenbett sicher sind, noch ein Kind haben zu wollen. Und ich? Ich hab gedacht ich komme von einem anderen Planeten mit meiner Abneigung. So jetzt fast forward, nach einigen Jahren war ich wieder schwanger und hatte eine Fehlgeburt. Weil ich davor große Freude über die Schwangerschaft hatte, wusste ich, dass ich bereit für ein zweites Kind. Ohne die Fehlgeburt wäre heute mein Sohn nicht auf der Welt. Der Altersunterschied ist wie er ist, mir aber egal. Die Vorstellung zwei Windelkinder zu haben, weil sie dann so super miteinander spielen zwei Sekunden lang, jagt mir auch heute noch einen Schauder über den Rücken. Das Mindset beim zweiten Kind ist anders, wir wissen, dass die harte Baby-Zeit ein Ablaufdatum hat. Auch mit zwei Kindern an der Backe, möchte ich dir Mut machen, deinen eigenen Weg zu gehen als Woman of the 21st century. Dass du Mutter bist, nimmt dir niemand mehr weg. Es gibts nichts zu beweisen. Ich empfehle das Buch „Liebesmühe“ von Christina Wessely aus vollstem Herzen.